Autor: Dirk Liesch
Das Lachen der Meerhexe wurde schnell lauter, bevor sie plötzlich um eine Felskante der dunklen Schlucht bog und auf das Netz zuschwamm, in dem die Meeresfee gefangen war. „Hallo Undine, schön dich zu sehen. Willkommen in meiner Gesellschaft!“, rief Demona, die Meerhexe, mit lieblicher Stimme und hinterhältigem Lachen in ihrem hässlichen dunkelgrünen Gesicht. Die Schlangen aus ihren Haaren wanden sich dabei durch die Maschen des Netzes und versuchten Undine zu beißen.
„Jetzt noch nicht meine Süßen!“, sagte die Meerhexe und zog den Kopf ein klein wenig zurück. „Wir wollen doch erst wissen, was uns die liebe Fee zu verraten hat.“ „Bringt Undine in meine Höhle und bereitet sie zur Befragung vor!“, befahl die Meerhexe den Kraken, während sie sich auf den Weg machte in die nahegelegene Medusenschlucht des Unterwassergebirges. In dieser Schlucht leben die gefährlichsten und giftigsten Medusen des Ozeans. Demona hatte sich gerade erinnert, dass sie wieder neues Gift einer Seewespe benötigt, der gefährlichsten Qualle der Welt. Quallen heißen Medusen, weil sich ihre Tentakel wie Schlangen um ihre Körper bewegen, genau wie bei Medusa, einer hässlichen Frau mit Eckzähnen und Schlangenhaar. Medusa war so hässlich, dass jeder Mann, der ihr in die Augen sah, sofort zu Stein erstarrte. Und genau wie die Opfer von Medusa zu Stein erstarrten, erstarren auch die Opfer, die mit dem Gift der Quallen-Tentakel in Berührung kommen. Deshalb sind die Quallen die Medusen der Meere.
Früher war die richtige Medusa wunderschön. Dies war auch Poseidon dem Meereskönig nicht entgangen. Als jedoch eine eifersüchtige Göttin namens Athene von diesem Liebesspiel erfuhr, verwandelte sie Medusa in diese schreckliche Gestalt. Doch Medusa war schon schwanger. Alte Meeres-Sagen behaupten, Medusa bekam nicht nur zwei Söhne als sie starb, sondern auch eine Tochter. Dies geriet jedoch in Vergessenheit.
Die Meerhexe brauchte das Gift der Seewespe für ihre Befragung der Meeresfee. Es lässt die Vergifteten bei schrecklichen Schmerzen erstarren. Sie können sich dann nicht mehr bewegen, aber noch alles hören und fühlen. In der Medusenschlucht wimmelte es nur so von gefährlichen Quallen. Es schimmerte im Dunkeln der Schlucht überall phosphoreszierend rot, blau und grün in kaltem und gruseligem Licht. Dennoch brauchte Demona einige Zeit, ehe sie eine blau und durchsichtig schimmernde Seewespe entdeckte und ihr einige Tentakel abschnitt und sorgfältig in ihrer Austerntasche verstaute. Schnell machte sie sich auf den Rückweg, um Undine der Meeresfee das Geheimnis zu entlocken, was sie beim Großmogul von Indien wollte.
Woher wusste die Meerhexe, dass Undine zu Oraculum, dem weisen Tintenfisch, wollte und danach zum Großmogul von Indien? Niemand im Meer wusste doch davon. Undine hatte es nur persönlich Poseidon gesagt und gestern gegenüber Oraculum erwähnt.