Draguecito

Während Dämona durch die dunklen Tunnelsysteme schwimmt, die den stillen Ozean mit der Karibik verbinden, denkt sie darüber nach, dass sie Lea ja nicht einfach, z.B. als Seeschlange beißen und töten kann. Der Gouverneur von Barakoa würde ihr dann nicht glauben, dass Lea tot ist. Schade, dies wäre am einfachsten gewesen. Dazu hätte sie sich nicht einmal verwandeln müssen und der Verdacht wäre nicht auf sie gefallen. Es wäre einfach ein schlimmes Unglück mit einer Seeschlange gewesen. Traurig beschließt sie, Lea eventuell nur zu betäuben und dann dem Gouverneur zu übergeben. So gibt es keine Zweifel, dass sie ihren Teil der Abmachung erfüllt hat. Sie freut sich bereits darauf, endlich die Lieblingsdelphine des Meereskönigs loszuwerden.
Unterdessen ist Undine, die Meeresfee, auch schon ein ganzes Stück nach Westen in Richtung Indien geschwommen. Es ist jedoch noch ein sehr weiter Weg. Bisher hat sich Undine an den Meeresbewohnern gefreut, denen sie begegnet ist. Eine ganze Weile hat sie sich von einem großen Wal ziehen lassen, den sie dabei am Kopf kraulte und ein paar Lieder vorsang. Nun aber muss sie langsam vorsichtig und aufmerksam werden. Sie nähert sich dem „schwarzen Graben“, dem tiefsten Graben im ganzen Ozean. Kein Licht hat jemals dessen Boden berührt. Er ist so tief und von gefährlichen Ungeheuern bewohnt, dass auch Undine in ihrem Leben noch nie hinuntergetaucht ist. Es ist selbst ihr zu gefährlich, da sie in der dunklen Nacht da unten auch nichts sehen kann. Wenn sie eine Leuchte verwenden würde, dann würde sie alle Ungeheuer sofort auf sich aufmerksam machen. Über 10 Kilometer soll das Meer hier an manchen Stellen tief sein. „Dort kommt er, der schwarze Abhang!“, denkt sie gerade, als sie ein leises leidvolles Stöhnen und Grollen vernimmt, was scheinbar weit aus der Tiefe unter ihr kommt. „Da hat Poseidon sein Versprechen doch wahr gemacht und den bösen Zauberer an der tiefsten Stelle des Meeres eingesperrt.“, denkt sie in dem Moment, als ein schrecklicher Gedanke durch ihren Kopf schießt: „Wächst bei dem Zauberer etwa auch mit den vielen Jahren der Bart wieder nach? Gewinnt er seine bösen Zauberkräfte wieder zurück und kann sich irgendwann befreien? Dort unten bemerkt das niemand und Poseidon schon gar nicht, da es dort nur Ungeheuer und keine schönen Nixen gibt.“ Sie nimmt sich vor, unbedingt mit Poseidon darüber zu sprechen, wenn sie wieder einmal zusammen einen so schönen Abend wie vor zwei Tagen verbringen. Der Gedanke an die Meerhexe und deren Ziel treibt sie jetzt jedoch an. Hoffentlich kommt sie noch rechtzeitig an, um ihren Plan zu verwirklichen. Aufmerksam schießt sie förmlich über die schwarze Schlucht unter ihr. Dann sieht sie endlich den anderen Rand und kurz danach entdeckt sie schon ihr Zwischenziel, den Fuß eines Vulkans, dessen Kraterränder an manchen Stellen als kleine Inseln über die Wasseroberfläche ragen. Die Inseln sind so klein, dass hier nur ab und zu ein paar ganz wenige Menschen leben. Dies interessiert Undine jedoch jetzt nicht. Sie ist hierher geschwommen, weil sich in der Mitte des Kraters ein kleinerer Vulkan erhebt, dessen Spitze kurz unter der Wasseroberfläche endet. Dorthin schwimmt sie. Sie weiß, dass alle Vulkane der Erde über die Magma, das flüssige Gestein im inneren der Erde, miteinander verbunden sind. Über dieses Magmanetz erreicht sie über einen Zauber und mit einer ganz bestimmte Schwingung, die im Magma über lange Distanz übertragen wird, ihre Freundin, die Fee vom Vulkan auf der „Insel der Dämonen“.