Da es ungefährlich ist und sie hier auch keine Menschen sehen konnten, verwandelte Undine sich in das Aussehen einer schönen Frau, mit Beinen statt ihres Fischschwanzes. Das war für sie gefährlich, da sie, solange sie verwandelt war, die meisten ihrer Zauberkräfte einbüßte. Doch diesmal hatten die Meeresfee und ihre Freundin die Fee vom Vulkan ausgemacht, sich oben am Kraterrand zu treffen, weil dort die Aussicht so schön ist, über das Meer und die anderen Kraterinseln, die nicht weit weg aus dem Meer ragten. Als Undine den Kraterrand erreichte, saß die Fee vom Vulkan schon dort auf einem Felsen und schaukelte mit den Beinen. Sie begrüßten sich mit einer Umarmung und Undine erzählte zuerst über ihr Erlebnis mit der riesigen gelb-schwarz getreiften Katze, als ihre Freundin sie nach dem Kratzer am Arm fragte. Sie erzählte ihrer Freundin auch von den zweischwänzigen Tieren, den rotbraunen Riesen-Affen und den großen weißen Papageien mit den Federkronen auf dem Kopf. Lachend antwortete ihr die Fee vom Vulkan, dass das mit den zwei Schwänzen Elefanten waren und dass man die weißen Riesen „Kakadus“ nennt, auch wenn sie mit zu den Papageien gehören. Die Affen waren sicherlich „Orang-Utans“, eine Menschenaffen-Art die dort lebt. „Bei dem Tiger, so nennt man diese gestreiften Raubkatzen, hattest Du wirklich Glück. Das hätte böse ausgehen können“, sagte die Fee vom Vulkan besorgt. „Aber schön sind die Tiger trotzdem“, ergänzte sie nach einer kurzen Pause.
„Meine Freundin, darf ich Dich mal etwas fragen, was mich schon lange beschäftigt? Wie schaffst Du es, im glühende Magma zu reisen? Das ist doch so heiß, dass Stein flüssig wird bis die Flüssigkeit rot, gelb und in bläulichen Tönen glüht. Alles müsste doch darin sofort verbrennen. Wie schaffst Du es, schneller als ich bis drei zählen kann, dadurch von einer Seite der Erde zur anderen zu gelangen?“ fragte Undine.
„Du weißt doch, jede von uns Feen hat ihren besonderen Zauber. Zu meinen Fähigkeiten gehört es, dass mir das Magma und die Lava nichts anhaben kann“ antwortete die Fee vom Vulkan. „Ich muss mir nur ganz fest vorstellen, zu welchem Vulkan oder zu welcher sehr heißen Quelle ich reisen möchte, bevor ich auf ein heißes Lava-Feld trete oder ins flüssige Magma springen. Es geht auch eine sehr heiße Quelle vulkanischen Ursprungs. Die muss aber fast kochen. Die Energie aus der Hitze führt dazu, dass sich zusammen mit einem meiner Zauber mein Körper auflöst und sich in ein Energiefeld verwandelt, so etwas wie die Strahlen der Sonne. Mein Energiefeld bewegt sich dann durch das heiße flüssige Magma im Innern der Erde. Manchmal kommt das Magma bei einem Vulkanausbruch an die Oberfläche und fließt dann als Lava ins Tal und manchmal auch ins Meer, das dann an der Stelle zu kochen anfängt. Es muss für meine Reise nicht unbedingt flüssiges Gestein sein, sondern es reicht, wenn der Fels sehr heiß ist, so dass ich auch die harten noch heißen oberen Gesteinskrusten eines Vulkans durchdringen kann. Selbst eine sehr heiße Quelle reicht, um dadurch zu reisen. Das Seltsame ist: Es dauert für Dich und alle Menschen weniger als drei Sekunden. Also ehe Du bis drei zählen kannst, habe ich jeden Vulkan auf der Erde erreicht. Außerhalb der Hitze nehme ich wieder meine normale Gestalt an. Aber für mich fühlt es sich an, wie eine Reise von Stunden, auf der ich jedes Mal interessante Entdeckungen im Erdinnern mache. Außerdem kann ich sogar Dinge, die ich auf der Reise sehe und interessant finde, mitnehmen. Besonders wenn ich die heißen Felskrusten durchquere, dort wo das Magma endet und die Erdkruste beginnt, entdecke ich tolle Dinge. Sieh mal, was ich Dir heute mitgebracht habe? Ich habe mich für diesen großen Diamanten für Dich entschieden, damit Du ein Geschenk für Lea‘s Vater hast und Du zu ihm vorgelassen wirst“ erzählte die Fee vom Vulkan, während sie einen sehr großen Diamanten hervorkramte und Undine übergab. „Da unten, wo der Druck am höchsten ist, gibt es ganze Wände voller Diamanten. Diesen fand ich heute aber am Schönsten. Kaum zu glauben, dass diese wunderschönen kristallklaren Steine aus schwarzen Kohlenstoff entstehen, dem gleichen Material, das die Menschen zum Schreiben verwenden. Doch mehr als einmal pro Woche sollte ich so eine Reise nicht machen, da es mich doch ziemlich erschöpft. Ich muss danach erst einige Zeit ausruhen, um meine volle Kraft wieder zu erreichen“, erzählte sie weiter und setzte fort: „Aber eigentlich wollten wir einen Plan schmieden, wie wir Lea vor der Meereshexe schützen. Lass uns eine Gratwanderung rund um den Krater des Vulkans machen. Beim Laufen kommen die besten Ideen.“ „Ja, lass uns laufen, aber nicht so schnell, Du weißt doch, dass ist nicht meine natürliche Gestalt. Laufen auf der Erde macht mir immer etwas Mühe und erschöpft mich wahrscheinlich ähnlich, wie dich dein Weg durch das Erdinnere“ antwortet Undine. Beide machen sich auf den Weg und überlegen.